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10. Februar 2015

Filmkritik: Hin und weg

Seit sehr langer Zeit habe ich es endlich mal wieder ins Kino geschafft und dann gleich an zwei Tagen hintereinander. 


Am ersten Tag stand als besonderer Film Hin und weg mit Florian David Fitz, Jürgen Vogel und Julia Koschitz auf dem Programm. Als Der besondere Film laufen bei uns im Kino meist Filme, die es so nicht in die Kinos schaffen, es aber trotzdem wert sind, geguckt zu werden. Oftmals sind das Independent- oder Low-Budget-Filme, die einmalig an einem Dienstag vorgestellt werden. Eine tolle Möglichkeit, auch mal weniger beworbene Filme zu entdecken.  
Ich wusste grob, worum es in dem Film gehen sollte, doch wie so oft, hatte ich mich vorher nicht extra belesen oder andere Meinungen studiert, um möglichst unvoreingenommen in den Film zu gehen. In der Tragikomödie wird der letzte Weg des an ALS erkrankten jungen Mannes namens Hannes erzählt. Wie jedes Jahr begibt er sich mit seinen besten Freunden, seinem Bruder und seiner geliebten Ehefrau auf eine abenteuerliche Radtour. Ziel ist diesmal das belächelte Belgien, dass wohl nicht viel mehr als Pommes, Pralinen und Jean-Claude Van Damme zu bieten hat. Doch bald wird der wahre Grund für dieses langweilige Ziel klar. Hannes, der von Florian David Fitz gespielte Protagonist, leidet an ALS. Eine Erbkrankheit, von der wohl kaum einer mehr weiß, als dass letzten Sommer viele durch eine Eiswasser-Dusche einer Spende für die ALS-Stiftung entkommen konnten. Bei Amyotropher Lateralsklerose, wie es ausgesprochen heißt, kommt es zu einer fortschreitenden, irreversiblen Schädigung oder Degeneration der Nervenzellen. Dadurch werden mit zunehmendem Fortschritt der Krankheit nahezu alle Muskelbewegungen unmöglich. Sie ist genetisch vererbbar und endet immer tödlich. Da Hannes bereits am Beispiel seines Vaters mit ansehen musste, wie die Krankheit einen zerstört und letztendlich aus dem Leben reißt, hat er für sich den Entschluss gefasst, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Und genau diese bekommt er in Belgien. 
Das Roadmovie beginnt also mit einem ersten emotionalen Abend im Haus der Mutter, als die bunte Reisetruppe vom wahren Grund für die Reise nach Belgien erfährt. Nach einem ersten Schock setzen dann doch alle ihren Weg fort und begleiten ihren Freund Hannes auf seiner letzten Reise. Wunderschön humorvoll umgesetzte Szenen wie etwa die einfallsreichen Mutproben der Freunde untereinander wechseln sich mit nachdenklichen Abenden am Lagerfeuer, Wutausbrüchen und einer herrlichen Schlammschlacht ab. Was habe ich gelacht, als Jürgen Vogel einen beispiellosen Transvestiten spielt, um seine Mutprobe zu bestehen und dabei auch noch tatsächlich eine hübsche Frau abschleppt. Ebenso herrlich befreiend und beinahe erlösend war die Schlammschlacht am Morgen nach einer regnerischen Nacht im Zelt. Man nimmt den Schauspielern zu jeder Zeit ab, dass sie Spaß hatten. Wunderbar gespielt. 
Emotionaler Höhepunkt war für mich definitiv der Abend am Lagerfeuer, als aus Hannes' Frau Kiki endlich die Angst und die Wut herausbricht. Die Angst allein zu sein, dass auch ihr Leben nach seinem Tod endet. Die Wut, dass ihr geliebter Mann alles allein entschieden hat. Für sich das beste, doch für seine Frau eine Entscheidung ohne an ihre Zukunft zu denken. Absolut klasse umgesetzt von Julia Koschitz. Alle im Saal haben die Taschentücher gezückt. 
Wieder von einigen lustigen und humorvoll inszenierten Momenten findet die Truppe also ihren Weg ins entlegene Oostende, der belgischen Stadt wo es nun also enden soll. Als die Mutter (gespielt von Hannelore Elsner) auch den Weg ans Meer findet, ist wohl auch dem letzten endgültig klar, dass es kommt. Das Ende, von dem man den ganzen Film über hofft, dass es doch nicht kommt und man wie sonst üblich mit einem Happy End ausblenden kann. Doch die Kamera hält drauf, als Hannes seine letzten Atemzüge nimmt und seine Familie und besten Freunde an seiner Seite sind und ihn gehen lassen müssen. Traurig ist es allemal, doch vor allem die Tatsache, dass es sich hier um einen jungen Mann handelt, der eigentlich sein ganzes Leben noch vor sich hat, lässt die Tränen kullern. Und doch ist es wunderschön anzusehen, dass es noch wahre Freundschaft und bedingungslose Liebe gibt. 
Und ein schönes beinahe Happy End hat der Film dann doch noch. Die letzte Einstellung zeigt die Freunde ein Jahr später wiedervereint am Strand von Oostende sitzen, Pommes essen und den Gedanken nachhängen. Die Kamera schwenkt raus und gibt den Blick frei auf einen riesigen Schriftzug im Sand: "Hannes was here". Toll. 

Fazit: Ein erfrischender deutscher Film mit tollem super aufeinander abgestimmten Cast, wo die Harmonie einfach stimmt. Ein Hauch Nostalgie, sei es mit dem Bollerwagen inklusive Kassettenrecorder und individueller Reisemusik oder traditionsreicher Mutproben á la "Kleide dich in Frauenkleidern". Toll abgestimmte Musik mit leichten, lockeren Songs, die die jeweilige Szene vielmehr unterstützen statt zu überlagern oder gar zu zerstören. Ein rundum gelungenes Roadmovie, das wirklich Lust auf mehr macht und den Zuschauer immer mitnimmt. Das Thema wurde nicht heruntergespielt, stattdessen findet eine direkte Konfrontation statt. Und man muss sich absolut nicht schämen, wenn einem die medizinischen Zusammenhänge mit ALS nicht geläufig sind. Im Film geht es fast allen Charakteren so. Die besondere Tragik wird durch einen super aufgelegten Florian David Fitz erreicht, der nicht nur grandios versucht stark zu sein sondern genau dann Emotionen zulässt, als der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Obwohl er fest entschlossen ist, seine Liebsten für immer zu verlassen, wirkt er dabei nicht gefühlskalt sondern einfach nur herzlich und menschlich. Erschreckend, dass es in der heutigen weit fortgeschrittenen Technik bisher noch keinerlei Möglichkeiten für eine Heilung dieser Krankheit gibt.
Jeder, der gern diese Sparte von Filmen schaut, sollte sich Hin und weg anschauen. Niveauvolle Tragikomödie mit super aufgelegten Schauspielern, wo die Chemie stimmt und man fast vergessen mag, dass es doch nur ein Film ist. 

Liebe Grüße,
eure Steffi.

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